Führungskräftecoaching

Wahrnehmung und Konsequenzen

Lisa Ahrweiler-Weissman

Lisa Ahrweiler-Weissman

Senior Projektleiterin

Welchen Stellenwert nimmt das Selbstwertgefühl in der Arbeitswelt ein? Oft unterschätzt, als „weiches“ Thema abgetan und vernachlässigt – das Bewusstsein für den eigenen Wert in einer komplexen, sich schnell verändernden Arbeitswelt steckt bei vielen mittelständischen Unternehmen noch in den Kinderschuhen. Dabei kann ein Business Coaching für Führungskräfte Energien freisetzen, die das Unternehmen voranbringen.

 

Coaching ist ein Begriff, der erklärungswürdig und nicht geschützt ist. Jeder kann sich als Coach bezeichnen, ohne dass klar ist auf welcher Ausbildung oder Grundlage. Ich persönlich unterscheide zwischen Business Coaching und Persönlichkeitscoaching. Als Business Coach hat man unternehmensbezogene Erfahrungen und Ausbildungen; beim Persönlichkeitscoaching findet man in der Regel Coaches, die eine NLP (Neurolinguistische Programmierung) oder systemtheoretische Ausbildung absolviert haben. Persönlich kann ich auf beide Teile zurückgreifen – ideal für die Zusammenarbeit mit Führungskräften.

Persönlichkeitscoaches sind keine Therapeuten

Tiefergehende psychologische Ausbildungen wie Psychotherapeuten und Psychologen sind auch im Coachingfeld unterwegs, hier geht es um tiefergehende Störungen und Verletzungen. In europäischen Bereich haben Coaches immer noch eher den Nimbus eines Therapeuten: „Wenn ich den brauche, habe ich ein schwerwiegendes Problem.“ Ein Besuch ist oft mit Scham behaftet. Im Coaching geht es jedoch um sofortige Verbesserung des Ist-Zustandes. Ziel ist immer die Erweiterung des Lösungsraums: es gibt immer mehr als eine Möglichkeit.

Eine Grundmaxime ist: jeder tut das Beste, was er gerade kann. Gleichzeitig ist jeder in seiner konkreten Situation gefangen, limitiert, eingebunden oder auch so eingeschränkt, dass Möglichkeiten nicht erkannt werden. Hier setzt Persönlichkeitscoaching an: es verändert die Position, die Sichtweise, die Bewertung und die Handlungs-räume so, dass der Coachee selbst diese neuen Facetten entdeckt.

Selbstwertgefühl taucht als Thema immer wieder auf

Wie wertvoll bin ich eigentlich, wie wertvoll empfinde ich mich, worüber definiere ich meinen Wert – das sind Themenstellungen, denen man im Coaching häufig begegnet. Eine wesentliche Ursache ist unsere anspruchsvolle Arbeitswelt. Aufgabenstellungen, die immer wieder neu und anders sind, die neuer persönlicher Kenntnisse und Erfahrungen bedürfen. Gleichzeitig ist unsere Arbeitswelt komplex, vernetzt und verändert sich in hohem Tempo. Hier bedarf es einer permanenten persönlichen Justierung: Wo stehe ich, was mache ich wie, wie gut, für wen, warum? Eine Justierung funktioniert auf Basis eines stabilen ausgeprägten persönlichen Wertesystems, oder anders gesagt: ein gesundes Selbstwertgefühl bildet den Ausgangspunkt. Doch aufgrund der Komplexität finden wir oft ein instabiles Selbstwertgefühl vor, das im Hinblick auf Zeit- und Energieressourcen nicht aus eigener Kraft aufgebaut werden kann. Denn wirkliche Reflektion und Weiterentwicklung im Job wird immer weniger realisiert.

Wir kommen aus einer Zeit der strukturierten Unternehmen, die ein stabiles Umfeld hatten. Führung war hierarchisch verankert und damit die Verantwortung grundsätzlich geregelt. Mitarbeitergespräche haben dazu beigetragen, dass sich jeder auf seinem Platz/in seinem Aufgabenfeld entwickeln konnte und hoffentlich über fundiertes Feedback seines Wertes im Unternehmen bewusst wurde. In einer volatilen Arbeitswelt in Zeiten der Digitalen Transformation verliert diese Basis für Selbstwertgefühl an Verlässlichkeit und Kontinuität. Und das auf allen Ebenen.

Die Reflektion der Führungskräfte sollte Priorität haben

Arbeitsbelastung und Zeitdruck führen dazu, dass gerade Führungskräfte das Momentum der Reflektion nicht nutzen können, mit meist negativen Folgen für das eigene Selbstwertgefühl. Und nachdem man in der Regel nur das umsetzt, was man selbst für sich kennt und kann, findet die Reflektion und damit Stärkung des Selbstwertgefühls von Mitarbeitern, Kollegen und vor allem Führungskräften dann auch nicht ausreichend statt. Eine negative Entwicklung, die sich in der Unternehmensorganisation immer weiter verstärkt. Im Coaching kann dieser Prozess unterbrochen werden. Grundvoraussetzung ist, dass der Coachee sich helfen lassen will.

Ganz häufig habe ich es mit einer Kombination zwischen Business Coaching und Persönlichkeitscoaching zu tun: weil Rollen und Aufgaben nicht klar sind, fällt es schwer, Ziele zu definieren, die es sich zu verfolgen lohnt und wo überhaupt Entwicklung und Erfolge möglich sind. Das typische, eigentlich ungewollte Reaktionsverhalten ist, sich in Fachthemen zu vertiefen und Adhoc Aufgaben zu übernehmen – ein Fluchtversuch, ohne an den eigentlichen Ursachen zu arbeiten.

Klarer Handlungsrahmen

So coache ich einen Nachfolger in der Geschäftsführung eines mittelständischen Unternehmens mit 500 Mitarbeitern. Er ist Mitte 30 und schon einige Jahre im Unternehmen. In seiner neuen Rolle als Geschäftsführer kam er jedoch lange Zeit nicht an. Eine Ursache spielte hier mit Sicherheit, dass die Gesellschafter/Eigentümer diese Rolle und den Verantwortungsbereich im Vorfeld nicht klar definiert hatten. Der Coachee fand daher Zuflucht in operativen, einfacheren Tätigkeiten in seinem Fachbereich oder spielte hier und da Feuerwehr, um nicht unternehmerisch denken und entscheiden zu müssen. Er sah nicht die langfristigen Themen des Unternehmens und hatte kein Gespür für die falsche/richtige Ebene.

In solch einem Fall ist das Aufzeigen, des eigentlichen Handlungsrahmens ein erster wichtiger Schritt für den Coachee. Hier hilft es z.B. schon aufzustehen, rein körperlich eine andere Position einzunehmen und vom Coach inhaltlich und emotional auf die Metaebene gehoben zu werden.

Dabei helfen folgende Fragen:

  • Für welche Bereiche bin ich wirklich verantwortlich?
  • Was will ich tun?
  • Wofür setze ich meine Fähigkeiten ein?
  • Was kann und will ich entscheiden?

Der Coachee erkannte schon nach zwei Treffen seinen tatsächlichen Verantwortungsrahmen und hat jetzt neue Ziele sowie konkrete Ansätze zum weiteren Vorgehen und Nachfassen. Im weiteren Coaching wird mit ihm die Umsetzungsfähigkeit reflektiert und verstärkt sowie Anpassungen vorgenommen.

Typischer Ablauf einer Intervention: Zielrahmen

  • Was ist Ihr Ziel?
  • Wie ist es, wenn Sie es erreicht haben?
  • Wann/wo/mit wem wollen Sie es erreichen?
  • Wie ändert sich dadurch Ihr Leben und das anderer Menschen?
  • Welchen Nutzen hatte der alte Zustand?
  • Was ist der Preis des Ziels?

(Quellen: Kutschera: NLP-Arbeitsbuch, Jungfermann/Paderborn 1994, S. 369ff. und Rückerl/Rückerl: Coaching mit NLP Werkzeugen, Viley-Ych Verlag 2008, S. 532ff.)

Sachliche Themen – emotionale Wahrnehmung

Papier ist geduldig – selbst wenn alles intellektuell betrachtet, analysiert und dokumentiert ist, braucht es die persönliche Wahrnehmung und das Gefühl. Eine Hürde, die im Coaching zu einer Hauptaufgabe geworden ist, und die des Persönlichkeitscoachings bedarf. Zu spüren, was im Hier und Jetzt passiert, ist eine Fähigkeit, die geübt sein will. Weil aber gerade Führungskräfte dazu neigen, alles über den Verstand lösen zu wollen, geht die Fähigkeit zur Achtsamkeit verloren oder wird gar nicht erst entwickelt. Viele spüren sich selbst nicht, haben kein Empfinden für die Situation, ihr Gegenüber und erst recht nicht für sich selbst. Diese oft verschüttete, ungenutzte und ungeübte Fähigkeit der Selbstwahrnehmung wieder zu aktivieren, zu entwickeln und zu verstärken, ist jedoch für jeden machbar.

Immer wieder merke ich, wie leicht es dann wird, das Selbstwertgefühl auf dieser Basis weiter aufzubauen. Coaching ist eine Reflektionsfläche für den Coachee, der Coach fungiert als Sparringspartner und macht ihm bewusst, was eigentlich schon in ihm drin ist. Wenn die Selbstwahrnehmung im natürlichen Gleichgewicht ist, empfinden sich Coachees u.a. als kreativ, flexibel, leicht, dynamisch und von ihrer Arbeit erfüllt. Mit einer solchen Grundlage gelingen Selbstreflektion, erfolgreicheres Agieren, Übertragung der Erfahrung auf andere – und damit Führen.

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