Verschwendung in Familienunternehmen

Auf die Perspektive kommt es an

Dr. Alexander Koch

Dr. Alexander Koch

Geschäftsführender Gesellschafter

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Wo und auf welchen Ebenen im Unternehmen findet Verschwendung statt? Aus unserer Sicht greift es zu kurz, sich beim Thema Verschwendung nur die direkt und indirekt wertschöpfenden Bereiche des Unternehmens anzusehen. Erhebliches Potenzial liegt häufig auf ganz anderen Ebenen verborgen. Und solche Potenziale lassen (Familien-) Unternehmen immer wieder liegen.

Kommt das Thema „Verschwendung“ zur Sprache, denkt man schnell an Ansätze des Lean Managements in den direkt wertschöpfenden Bereichen des Unternehmens (Produktion, Montage, Logistik etc.), vielleicht inzwischen auch in den eher indirekten, administrativen Aufgabenstellungen (Verwaltung, Vertrieb etc.). Soweit ist das sicherlich nicht falsch. Hier stecken regelmäßig auch heute noch Potenziale, die bei entsprechender Realisierung eine nachhaltige Verbesserung der Wettbewerbsposition in puncto Qualität, Zeit und Kosten ermöglichen. Nicht selten ist dies eine absolute Grundvoraussetzung, um überhaupt noch am Wettbewerb teilnehmen zu können.

Das Vermeiden operativer Verschwendung ist notwendig – greift allein allerdings deutlich zu kurz!

Ein wichtiges übergeordnetes Ziel bei Familienunternehmen ist häufig, die eigene Überlebensfähigkeit langfristig zu erhalten und zu verbessern. Indirekt messen lässt sich das unter anderem durch die Entwicklung des Unternehmenswerts. Wenn wir hier also eine Wertperspektive anlegen und die Frage stellen, wie der Wert des Unternehmens langfristig bestmöglich gesteigert werden kann, dann beobachten wir regelmäßig Folgendes: Unternehmen lassen zum Teil erhebliche langfristige Erfolgs- und damit Wertpotenziale ungenutzt, obwohl sie gegenüber anderen Unternehmensformen über die besten Voraussetzungen verfügen. Wenn man also ganz nüchtern aus der Perspektive des Unternehmens – nicht aus der des Unternehmers – auf dieses Thema blickt, dann stehen einer „optimalen“ Ausschöpfung von Potenzialen häufig die Zufriedenheit und bestimmte persönliche Lebensmodelle der Gesellschafter, anspruchsvolle Familienkonstellationen mit heterogenen Zielen und mangelnder Konsens über die zukünftige Ausrichtung auf Ebene des Top-Managements entgegen. Dies sind nur einige Hemmnisse, die wir häufig erleben.

In der Regel genügt schon eines dieser Phänomene, um eigentlich vorhandene Potenziale nicht zu nutzen. Wo und in welcher Hinsicht werden nun Potenziale „verschwendet“?

Verschwendung von Potenzial findet dabei auf allen Ebenen statt (strategisch, organisational, operativ)

Diese These und die entsprechende Einordnung der Ebenen lässt sich anschaulich mithilfe des Fundamentalprinzips „effektiver und effizienter Wertschöpfungsnetzwerkgestaltung“ zeigen (in Anlehnung an Pfeiffer/Weiß (1992), Lean Management, Grundlagen der Führung und Organisation industrieller Unternehmen, Berlin 1992).

Ein durchaus sperriger Begriff für eine absolut einschlägige Logik: mit zunehmendem Systemrang der Betrachtung vergrößert sich der Beeinflussungshebel bei gleichzeitig sinkenden Beeinflussungskosten. Umgekehrt bedeutet das: je kleiner (oder je tiefer in einem System eingebettet) das Betrachtungsobjekt ist, an dem zur Vermeidung von Verschwendung angesetzt wird, desto höher ist der Aufwand bei vergleichsweise überschaubarer Wirkung.

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Beispiel: Einen Prozess in der Fertigung zu optimieren, setzt in der Regel eine saubere Analyse mit zahlreichen Klärungsschleifen voraus. Der Prozess wird modelliert, bevor (z.B. in Workshops) Verbesserungspotenziale identifiziert, Soll-Prozesse erarbeitet und schließlich (vielleicht verbunden mit entsprechenden Investitionen) realisiert werden. Nur um nicht falsch verstanden zu werden: die Weiterentwicklung der operativen Exzellenz ist absolut sinnvoll und notwendig.

Neben der Vermeidung von operativer Verschwendung muss aus unserer Sicht aber zwingend und mit mindestens ebensolcher Aufmerksamkeit des Managements an strategischer und organisationaler Verschwendung angesetzt werden.

Strategische Verschwendung

Was verstehen wir unter strategischer Verschwendung? Das Fundamentalprinzip macht den einfachen Zusammenhang deutlich: wenn das Wertschöpfungsnetzwerk, die Prozesslandschaft als solche oder die Ausrichtung des Leistungsspektrums strategisch weiterentwickelt werden, dann hat das den größten Beeinflussungshebel in Bezug auf die künftige Wertentwicklung des Unternehmens bei einem vergleichsweise geringen Beeinflussungsaufwand. Ein Strategieprojekt ist oft nicht aufwändiger als ein Lean-Projekt im Unternehmen (auch wenn vielleicht zum Teil andere Personenkreise involviert sind). Nur wenn man nicht gezielt auf dieser höchsten Ebene ansetzt, lässt man nicht nur Potenzial liegen, sondern gefährdet fahrlässig eine weiterhin erfolgreiche Unternehmensentwicklung.

Im Kontext strategischer Überlegungen müssen im ersten Schritt die übergeordneten Ziele für die Weiterentwicklung des Unternehmens festgelegt werden. Dabei stehen die drei Zieldimensionen Wachstum, Rendite und Risiko im Mittelpunkt: mit vertretbarem Risiko profitabel wachsen. Und auch hier findet häufig strategische Verschwendung statt. Nämlich dann, wenn das Führungsteam (i.d.R. Gesellschafter, Geschäftsführung) keinen Konsens über die „richtige Zielfunktion“ hat. Aus unserer Sicht darf keiner der drei Parameter übermäßig ausgeprägt sein, keiner darf vernachlässigt werden.

Stattdessen müssen die drei Zieldimensionen in die richtige Balance zueinander gebracht werden. Dies ist sehr anspruchsvoll und höchst individuell, näherungsweise kann man es aber mit der einfachen Geometrie halten: die Fläche eines Dreiecks (diese versinnbildlicht hier den Unternehmenswert) ist (bei einem gegebenen Umfang) dann am größten, wenn alle Seiten die gleiche Länge haben – und damit keine der Dimensionen unverhältnismäßig stark ausgeprägt ist. Folgende Abbildung mag das sehr einfach veranschaulichen:

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Um also eine gute und wirksame Strategie zu erarbeiten, ist zuvor eine klare Entscheidung über diese Zielfunktion notwendig. Und egal, ob Wachstum, Rendite oder die Risikoposition im Vordergrund stehen, die jeweils anderen Dimensionen müssen ebenfalls mit einem hohen Stellenwert ausgestattet sein. Schließlich muss die Strategie sauber, konsequent und transparent erarbeitet und umgesetzt werden, um den Weg zu den Wettbewerbsvorteilen von morgen nicht nur zu sehen, sondern auch tatsächlich gehen zu können. Hier können unterschiedliche Instrumente und Logiken zur Unterstützung helfen, die allesamt die dauerhafte Umsetzung der getroffenen strategischen Entscheidungen zum Gegenstand haben. Beispielhaft sei hier nur auf die OKR-Systematik (Objectives and Key Results) hingewiesen.

Die OKR-Methodik trägt entscheidend zur gemeinsamen Ausrichtung, Fokussierung und Mitarbeitereinbindung bei, indem

  • alle Aktivitäten auf die übergeordneten strategischen Unternehmensziele ausgerichtet werden,
  • alle Organisationseinheiten abgestimmt sind,
  • jeder genau weiß, was wichtig ist und die Top-Prioritäten kennt,
  • nur „wertvolle“ Maßnahmen umgesetzt werden und so Verschwendung vermieden wird,
  • jeweils ein 1-Jahreshorizont angesetzt wird, so dass die Strategie im jeweils operativen Zeitraum betrachtet und so für die Beteiligten zum Teil der täglichen Arbeit wird.

Die klare Vereinbarung von

  • richtungsweisenden Zielen für 1 Jahr (Objectives)
  • anzustrebenden Ergebnissen (Key Results) sowie den dafür erforderlichen
  • Projekten und Maßnahmen (Initiatives)

sorgt für klare Priorisierungen und macht Strategieumsetzung verbindlich und transparent.

Organisationale Verschwendung

Es sagt sich immer so leicht: Die Organisationsform und die Organisationsstruktur müssen zur gewählten Strategie passen: „Structure follows Strategy“. Richtig ist das, nur in Zeiten sich immer schneller verändernder Rahmenbedingungen durchaus anspruchsvoll. Denn wie sollen die gewohnten stabilen Organisationsformen vieler Familienunternehmen diesen neuen Anforderungen gerecht werden?

Reorganisationsprojekte und viel Aufwand für Change Management sollen häufig Abhilfe schaffen. Dabei wird aber in der Regel versucht, von einem stabilen in einen nächsten stabilen Zustand zu springen. Das Organigramm wird angepasst, die Menschen zum Teil in neue Rollen gebracht, die grundlegende Philosophie von klar definierten Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten bleibt im Grunde aber bestehen. Das wird nicht mehr ausreichend sein. Denn der Umfang der Aufgaben im Unternehmen, die eben nicht häufig wiederkehrend, sondern sehr sprunghaft und ohne großen Vorlauf erledigt werden müssen, nimmt schon heute stark zu und wird weiter zunehmen. Stabile Zustände sind in diesen Fällen also nicht die richtige Antwort.

Dort, wo Mitarbeiter beispielsweise vorgegebene Prozesse umgehen, um einen Kundentermin zu halten, hat das häufig nicht mit Bequemlichkeit und mangelnder Disziplin zu tun. Stattdessen verhält sich der Mitarbeiter zwar ganz im Sinne des Kunden, aber eben nicht regelkonform. Dabei sind die angewandten Problemlösungsprinzipien (also zum Beispiel Prozessbeschreibungen) teilweise nicht mehr dazu geeignet, das gerade jetzt vorhandene Problem effektiv und effizient zu lösen. Das ist für uns Verschwendung.

Ein Ansatz kann hier sein, an bestimmten Stellen im Unternehmen Modelle der Selbstführung und der Selbstorganisation einzusetzen, zum Beispiel dort im Unternehmen, wo es um Aufgaben geht, die nicht effizient durch Stabilität, sondern vielmehr mit Prinzipien der Agilität und Anpassungsfähigkeit bearbeitet werden können. Das setzt bei Mitarbeitern eine andere Offenheit und ein hohes Vertrauen in die eigenen Problemlösungsfähigkeiten voraus. Eine solche Herangehensweise schafft einerseits neue Perspektiven für bestimmte Typen von Mitarbeitern, bei anderen werden eher Irritation und Verunsicherung nebst dem Wunsch nach Vorgaben durch die Führungskraft ausgelöst.

Ich bin der Überzeugung, dass Familienunternehmen künftig diese Ambivalenz annehmen und für sich im Rahmen der Organisationsentwicklung nutzen sollten, um die Anforderungen der Kunden von morgen bestmöglich zu erfüllen und weiterhin Wettbewerbsvorteile zu schaffen.

Fazit

Wir sehen immer wieder, dass Potenziale in Familienunternehmen aus unterschiedlichen Gründen ungenutzt bleiben – verschwendet werden. Wir sehen aber auch, dass gerade Familienunternehmen die besten Voraussetzungen (gegenüber anderen Unternehmensformen) haben, um ihren Wert dauerhaft zu steigern. Das gelingt dort am besten, wo die strategische, organisationale und operative Ebene in einer guten Balance mit der entsprechenden Aufmerksamkeit weiterentwickelt werden und keine der Ebenen dauerhaft im Vordergrund steht.

Wenn uns Unternehmen heute sagen, dass sie nur weitermachen müssen wie bisher, um erfolgreich zu bleiben, dann kann ich diese Haltung nur unterstützen. Denn die meisten dieser Unternehmen sind nur deshalb so erfolgreich geworden, weil sie es gewohnt waren, sich laufend zu hinterfragen und weitreichende Veränderungen in Gang zu setzen, wenn sich Potenziale erschlossen haben oder es die Kunden und Märkte schlichtweg gefordert haben.

Insofern: weiter so!

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