Primogenitur in Familienunternehmen

Das Recht des Erstgeborenen

Dr. Moritz Fehrer

Dr. Moritz Fehrer

Projektleiter

Traurige Realität für viele Brauereien: Sinkender Absatz und stagnierende Gewinne, nicht unbedingt die idealen Vorrausetzungen, um nun auch noch weichende Erben auszuzahlen, oder doch? Gerade ältere Familienunternehmen erleben oft das Problem der Anteilszersplitterung.

 

Wenn Gesellschafteranteile über mehrere Generationen immer wieder zwischen den Kindern aufgeteilt werden, sitzt irgendwann eine Unzahl von Gesellschaftern mit am Tisch, die von der Materie oft wenig Ahnung haben, jedoch mitreden und auch noch bezahlt werden wollen. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu umgehen ist Primogenitur, das Recht des Erstgeborenen, sodass eines der Kinder (hoffentlich das fähigste), alle Anteile bekommt. Wie wird dann aber der Pflichtteilsverzicht der weichenden Erben geregelt und welche Art von Ausgleichszahlungen können erfolgen?

Die Ursprünge der Primogenitur

Die Primogenitur regelt die Erbfolge, wonach nur das älteste Kind des ältesten Kindes erbberechtigt ist, alle anderen Erben müssen zum Teil abgefunden weichen. Im fränkischen Recht (Lex Salica) grenzte man diese Erbberechtigung noch weiter ein, indem nur männliche Erben erbberechtigt waren. Etwaig vorhandene ältere Schwestern wurden einfach übergangen. Diese Form der Erbfolge setzte sich in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen über Jahrhunderte durch und fand auch in den verschiedensten Gesetzesformen Anklang. Egal ob es sich dabei um die Hausgesetze der Aristokratie, die ständische Höfeordnung der Landwirtschaft oder aber auch moderne Familienverfassungen des Unternehmertums handelt. Viele dieser Erbregelungen sind auch heute zum Teil immer noch rechtsgültig bzw. zumindest oft noch moralisch bindend.

Ziel der Primogenitur war es immer, den familiären Besitz zusammenzuhalten und über Generationen hinweg zu sichern. Das Schicksal der weichenden Erben war dabei oft von nicht einmal sekundärer Natur. So war es früher eben üblich, dass Zweit- und Drittgeborenen eine Karriere im Militär oder im Kloster offenstand. Dort wurden sie zeitlebens versorgt und konnten weiterhin ihrer Familie dienen. Töchter wechselten ja sowieso durch Heirat die Familie und waren aufgrund des Namenswechsels eher ungeeignete Stammhalter im traditionellen Sinn. Glücklicherweise hat sich seitdem vieles zum Besseren bewegt. Das Problem der Anteilszersplitterung aber bleibt.

Das Problem der Anteilszersplitterung

Aller Anfang ist leicht: der Besitz befindet sich in der ersten Generation noch in einer Hand und der Abstimmungsbedarf des Alleingesellschafters mit anderen ist minimal. Sollte dieser Alleingesellschafter sich schon in der zweiten Generation dazu entscheiden, seinen Besitz auf seine Kinder aufzuteilen, dann macht es das zwar komplizierter, es ist aber noch kein Beinbruch. Üblicherweise können diese Geschwistergesellschafter noch gut miteinander zusammenarbeiten. Das gesprochene Wort gilt, man kennt sich, vertraut sich und wird sich schon irgendwie einig.

Problematisch wird es aber spätestens in der dritten Generation. Vetterngesellschafter sind nämlich weniger verzeihend als ihre Eltern. Oft sind sie auch schon sehr unterschiedlich familiär und kulturell geprägt. Das gemeinsame Mittagessen bei Oma und Opa am Wochenende ist zwar noch im Gedächtnis verklärt als identitätsstiftendes Merkmal vorhanden, aber schon lange mehr kein Garant für Ruhe und Frieden.

Erschwerend kommt hinzu, dass in der dritten Generation oft schon viele Gesellschafter, mit größeren und kleineren Anteilspaketen und unterschiedlichem Wissens- und Ausbildungsstand zusammenkommen. Diese heterogene Gruppe unter einen Hut zu bekommen, ohne dabei einen der größten Vorteile von Familienunternehmen, nämlich schnelle und pragmatische Lösungsfindung, zu verlieren gleicht einer Herkulesaufgabe. Diese fortschreitende Zersplitterung des Besitzes in Kleinstanteile setzt sich mit jedem weiteren Gesellschafter in der weiteren Generation fort, mit all den wohlbekannten Folgen der unterschiedlichen Interessen.

In Deutschland hat der Gesetzgeber durch den sogenannten Pflichtteil, also die Hälfte des gesetzlichen Erbteiles, potenzielle Erben davor geschützt, in Armut leben zu müssen, falls sie bei ihren Eltern in Ungnade fallen sollten. Das Problem dabei ist jedoch, dass viele große Vermögen aber nun einmal nicht aus Bargeld, sondern aus Anlagevermögen wie z.B. Firmen, Land und Immobilien bestehen. Muss hier nun ein entsprechend großer Ausgleich geschaffen werden, heißt es oft verkaufen, oder doch zumindest Schulden bei der Bank aufnehmen.

Dieses Problem trifft auch einen Großteil der familiengeführten Brauereien in Deutschland. Nicht selten sind diese über Generationen gewachsen und haben ihr Vermögen neben dem Kerngeschäft des Bierbrauens in weitere Bereiche investiert, große liquide Vermögen haben aber die wenigsten. Gerade deshalb stellt die Nachfolge nicht nur aufgrund der Erbschaftssteuer immer auch eine große finanzielle Herausforderung für den Erben dar. Direkte Geschwister oder andere weichende Erben auszubezahlen muss gut überlegt sein, wenn man nicht in die Situation kommen möchte, das schwer verdiente und über Jahrzehnte aufgebaute Vermögen verkaufen zu müssen.

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Das Dilemma der Gesellschaftszersplitterung: Konfliktpotenziale in Familienunternehmen

Gleichbehandlung ist nicht unbedingt gerecht

Einer der Hauptgründe für die zunehmende Anteilszersplitterung ist die Motivation der übergebenden Generation, die eigenen Kinder nicht ungleich behandeln zu wollen.Dabei ist eine Ungleichbehandlung nicht unbedingt auch gleichzusetzen mit Ungerechtigkeit. So manchem Erben wäre deutlich mehr geholfen, wenn er nicht Zeit seines Lebens in einer Erbengemeinschaft mit seinen Geschwistern feststecken würde und dadurch nur sehr eingeschränkt über sein eigenes Vermögen verfügen kann. Viele wären deutlich besser beraten, mit einem entsprechend kleineren aber alleinigen Erbteil das eigene Glück zu verfolgen.

Es muss festgehalten werden, dass nicht jede Gleichbehandlung auch gerecht ist und oft erst recht nicht unbedingt zu Einheit und Frieden führt. Stellen Sie sich nur einmal vier Geschwister vor, die alle an derselben Brauerei beteiligt sind, von denen aber nur einer im Unternehmen arbeitet und ein anderer lieber verkaufen möchte, jedoch von den anderen Dreien nicht ausbezahlt werden kann. Konflikte sind vorprogrammiert – diese innerfamiliären Spannungen werden nicht selten weiter vererbt und über Generationen gepflegt und aufrechterhalten.

Die Vorteile des Alleinerben für Firma und Familie

Wie bereits erwähnt, besteht einer der größten Vorteile von Familienunternehmen üblicherweise in der Fähigkeit, pragmatische Entscheidungen schnell und konsequent treffen zu können. Dieser Vorteil verringert sich mit jeder weiteren Person, die zum Entscheidungsprozess hinzugezogen werden muss. Auch die oft leidige Thematik der Ausschüttungen, Gesellschafterkonten und nötigen Reinvestitionen wird erfahrungsgemäß deutlich vereinfacht, dies ist gleichermaßen vorteilhaft für den Unternehmer und für das Unternehmen. Der geschäftsführende Gesellschafter kann seinen Lebensunterhalt zum einen aus seinem Geschäftsführer-Gehalt beziehen und zum anderen aus einer entsprechenden jährlichen Ausschüttung. Es müssen keine weiteren Ausschüttungen getätigt werden; wenn es denn einmal sein muss, kann darauf sogar gänzlich verzichtet werden, denn schließlich gibt es ja immer noch das Gehalt. Das jährlich erwirtschaftete Eigenkapital kann also zu einem deutlich größeren Anteil im Unternehmen verbleiben und dort zum Vorteil aller reinvestiert werden als das bei mehreren Gesellschaftern und ihren Familien der Fall wäre.

So müssen viele familiengeführte Brauereien bereits seit Jahren mit rückläufigen Verkaufszahlen rechnen, Corona verschärft diesen traurigen Trend sogar noch zusätzlich. Bei allem Pessimismus kann man dies jedoch auch als Chance betrachten, denn zweifellos haben viele Brauereien momentan wertmäßig ihren historischen Tiefstand erreicht, das bedeutet aber auch, dass der Erbteil der weichenden Erben so gering ist wie nie. All diese Hintergründe und Gedanken sollten in einer umfassenden Inhaberstrategie berücksichtigt werden, wenn das Thema Nachfolge angegangen wird.

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Die Zersplitterungsproblematik: Herausforderungen für Familienunternehmen

Wie könnte Primogenitur in der Zukunft aussehen?

Siebzig Jahre Frieden und wirtschaftlicher Erfolg haben zu großen Familienunternehmen und großen Vermögen geführt, diese gilt es nun auch zu schützen. Gerade die gesellschaftlichen Entwicklungen der 60er und 70er Jahre haben dafür gesorgt, dass es in den letzten Jahrzehnten einen Trend zu einer gleichmäßigen Aufteilung der Anteile über alle Kinder gab – mit den oben bereits geschilderten Folgen. Welche Daseinsberechtigung hat Primogenitur heute also noch? Eine sehr große, Primogenitur ist vielleicht die einzige Antwort auf die ungelösten und von Generation zu Generation zunehmenden Probleme, die wir haben bzw. noch weiter bekommen werden.

Natürlich nicht in der ursprünglichen Form, dass nur der Älteste das gesamte Vermögen erhält und alle anderen leer ausgehen. Das Prinzip, nur einen Nachfolger auszuwählen, idealerweise den oder die geeignetste, unabhängig von Alter und Geschlecht, erscheint aber verlockend. Die weichenden Erben würden dann idealerweise einen Pflichtteilsverzicht unterzeichnen, darüber hinaus würden sie nicht leer ausgehen, sondern man müsste sie mit Privatvermögen (Geld, Aktien, Immobilien, Schmuck, Kunst) entsprechend abfinden. Dieses Privatvermögen unterliegt häufig deutlich niedrigeren konjunkturellen Schwankungen als Firmenvermögen und ist deswegen ein durchaus faires und begehrtes Tauschobjekt.

Fest steht aber auch, in einem Unternehmen, in dem Ausschüttungen häufig nur auf das Wesentlichste beschränkt werden, gibt es oft nicht genug Privatvermögen, um weichende Erben aus der Portokasse auszuzahlen. Deshalb ist es auch so wichtig, dieses Thema sorgfältig zu planen, denn Familienvermögen muss zum einen aufgebaut und zum anderen in Form von Schenkungen schon frühzeitig und idealerweise steuerneutral übertragen werden.

Das Problem der Anteilszersplitterung ist keinesfalls neu, ebenso wenig wie das Konzept der Primogenitur. Was früher aber noch von den weichenden Erben als üblich akzeptiert wurde, ist heute schon lange nicht mehr durchsetzungsfähig, sodass auch alte Konzepte eine moderne Anpassung benötigen, um ihren ursprünglichen Mehrwehrt ausspielen zu können. Gute Nachfolgeregelungen fallen nicht vom Himmel, sondern bedürfen guter Planung, Vorbereitung sowie einer Unterstützung und Akzeptanz durch die gesamte Familie. Unter diesen Voraussetzungen kann es gelingen, das unternehmerische Erbe erfolgreich in der nächsten Generation fortzuführen.

Erschienen in: BRAUWELT, 08/2021

Lesedauer: 7 Minuten

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