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Unabhängigkeit von Start-ups. Erfolgsfaktor? – Weissman & Cie.

Geschrieben von Moritz Weissman | Apr 24, 2017 10:00:00 PM

Wie verhält es sich mit dem Streben nach Unabhängigkeit von Start-ups? Können sie sich dabei etwas von den traditionellen Unternehmen abschauen und unabhängig erfolgreich agieren? Oder wird der Unabhängigkeitswunsch zum Hemmnis?

 

Erfolgreiche Start-ups zeichnet aus, dass sie auch die Regeln der Old Economy kennen und das Beste aus beiden Welten in sich vereinen. Für gestandene Familienunternehmer besteht das tägliche Mantra aus Eigenkapitalstärke und Bankenunabhängigkeit. Diesen Zielen ordnen viele Familienunternehmer alle Entscheidungen unter. Das Mantra der Start-up-Szene heisst aber Wachstum – vor allem in innovativen und neuen (Blue-Ocean-)Märkten.

Generell gibt es verschiedene Typen von Start-ups:

  1. Familien-Start-ups, die ihre Ideen umsetzen, um ihre Familie zu ernähren, und dabei den Strukturen kleinerer Betriebe folgen.
  2. Lifestyle-Start-ups, die ihrer Leidenschaft folgen und ihren Traum mit einer innovativen Idee verwirklichen, wie der Bio-Energydrink-Hersteller acáo oder die Mountain-Bike-Manufaktur YT Industries, deren Gründer ihr Hobby zum Beruf gemacht haben und günstige, wettkampftaugliche Räder konstruieren, die sie ohne Zwischenhändler online vertreiben. Lifestyle-Start-ups kennzeichnet oft, dass deren Gründer nach administrativer Unabhängigkeit streben.
  3. Skalierbare Start-ups, die häufig auf einem digitalen Geschäftsmodell basieren, um somit eine Umsatzsteigerung zu ermöglichen, ohne kontinuierlich in Produktion und Infrastruktur investieren zu müssen, wie die Plattformen Facebook, Uber, Airbnb etc.
  4. Ausgründungen von etablierten Unternehmen, die ohne die «Hemmnisse» (lange Entscheidungswege, interne Widerstände etc.) eines «Traditionsunternehmens» im Rücken agil und innovativ agieren können. Die Organisationen agieren als «Two-Speed-Organizations».
  5. Social Start-ups, bei denen nicht die Gewinnerzielung im Vordergrund steht, sondern die Maximierung des Nutzens aus ihrem sozialen Zweck. In der Praxis zeigen sich natürlich Mischformen der Start-up-Typen, und abhängig von den Möglichkeiten und Rahmenbedingungen können sich die Art und das Verhalten des Start-Ups im Zeitverlauf ändern. Je langfristiger das Unternehmen angelegt ist, umso höher der Drang nach (finanzieller) Unabhängigkeit. Start-ups, die den Wunsch nach einer Exit-Strategie hegen, um Wohlstand für die Gründer zu erlangen, sind eher bereit, hohe Einflussnahme und Kontrollen durch Investoren (im Austausch gegen Finanzmittel-Zuflüsse) zu akzeptieren, als etwa Familien- und Lifestyle-Start-ups, deren Unabhängigkeitswunsch hier im Fokus stehen soll.

Unabhängigkeit als Wert bei Start-ups

Wenn wir von Unabhängigkeit sprechen, stehen individuell je nach Unternehmensziel und Persönlichkeit der Gründer unterschiedliche Formen der Unabhängigkeit im Vordergrund:

  1. Finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht den Gründern, eigene Entscheidungen ohne eine externe Einflussnahme oder Kontrolle zu treffen. Dabei können auch kalkulierte Risiken eingegangen werden, ohne den Blick starr auf die Monatszahlen zu fixieren.
  2. Administrative Unabhängigkeit fördert die freie Entfaltung abseits von konzernähnlichen Strukturen, die oft mit langen Entscheidungswegen, mehreren Hierarchiestufen, einheitlichen Reportingstrukturen etc. einhergehen. Insbesondere Ausgründungen sehen sich oft mit der Fokussierung auf Kennzahlen, dem Not-invented-here-Syndrom sowie dem Zwang zur Perfektion in Sorge um den guten Ruf des Gesamtunternehmens konfrontiert und wünschen sich ein Stück weit mehr Schnelligkeit, Freude an Entdeckung statt Bewahrung und stete Arbeit an Verbesserungen statt Fehlervermeidung.
  3. Mentale/kreative Unabhängigkeit bietet die Möglichkeit, sich auszuprobieren, Fehler zu begehen, Erfahrungen zu sammeln. Freiraum und Selbstverwirklichung werden gegen ein Stück Sicherheit eingetauscht. Dabei wird auch Scheitern akzeptiert und als Lernerfahrung verbucht. In der deutschen Unternehmenskultur steckt die Toleranz gegenüber Fehlern im Vergleich zur amerikanischen Kultur und zum Silicon Valley noch in den Kinderschuhen. Eigene Fehler zu thematisieren, sie publik zu machen, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Langsam wird dieses Denken jedoch aufgebrochen, die Scham zurückgestellt und werden die eigenen Fehlentscheidungen präsentiert und zur Debatte gestellt, zum Beispiel als innovatives Format («FuckUp-Nights»), als Publikation («Mein größter Fehler») oder als interner Verbesserungsprozess («Fehler des Monats»).

Das Streben nach Unabhängigkeit bei Start-up-Unternehmen kann also rationale wie auch emotionale Gründe haben. Angesichts der Studie «Ursachen für das Scheitern junger Unternehmer in den ersten fünf Jahren ihres Bestehens» (2010) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi), die Finanzierungsprobleme als wichtigsten Grund für Unternehmensaufgaben benennt, sind die Sicherung des Überlebens und das Bilden von Rücklagen, um finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen, mehr als nachvollziehbar.

Daneben changieren verschiedene emotionale Gründe, bei denen beispielsweise der Verlust der eigenen Flexibilität und Kreativität mit dem Verlust eines kraftvollen Agierens gleichgesetzt wird. «Ich will nie wieder, dass jemand anders Herr in meinem Hause ist», so Skateboard-Pionier Titus Dittmann, der die Mehrheit im Aufsichtsrat an Investoren übergab und nach dem Börsencrash einer Kollision von Familien- und Investoreninteressen sowie drohender Insolvenz ins Auge blicken musste. Ganz gleich, ob finanziell, administrativ oder mental: Ein Start-up, das seine Unabhängigkeit verliert, ist wie ein zahnloser Tiger.

Traditionelle Erfolgsrezepte übernehmen?

Etablierte Unternehmen, traditionsreiche Familienbetriebe und Weltmarktführer aus der deutschen Provinz zeichnen sich durch hohe Eigenkapitalstärke aus. Unabhängig von Banken zeigen sie sich auch bei angespannter weltwirtschaftlicher Lage krisenfest und erfolgsorientiert. Wie können Start-ups von den traditionellen Erfolgsrezepten profitieren? Wie bei allem entscheidet die Dosis oder Ausprägung über die Wirkung als Heilmittel oder Gift. Schnell kann aus krisenfest starr und unbeweglich werden, wenn der Eigenkapitalquote alles untergeordnet wird. Zögerliches Agieren und das Vermeiden von Risiken führen zu verpassten Marktchancen, erhaltende Innovationen gehen an Kundenbedürfnissen vorbei, Leverage-Effekte werden durch die Ablehnung von Fremdkapital versäumt, und eine strikte Erfolgsorientierung verhindert das Lernen aus Fehlern.

Don’t be afraid to give up the good to go for the great. (John D. Rockefeller)

Zu wenig Unabhängigkeit und zu schnelles Wachstum gehen auf Kosten der Substanz, schaden der Struktur und sorgen für ein instabiles Unternehmen. Zu viel Unabhängigkeitsstreben gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit, wenn Chancen durch zu langsames Wachstum und zu geringe Risikobereitschaft ausgelassen werden. Für Balance im Streben nach Unabhängigkeit steht ein kontrolliertes Eingehen von Risiken, das im Worst Case den Erhalt des Unternehmens nicht gefährdet, aber durchaus außerhalb der Komfortzone liegt. Dabei können Old und New Economy gegenseitig voneinander profitieren, wenn etablierte Unternehmen den Schulterschluss mit jungen Marktteilnehmern wagen. Partnerschaften von Familienunternehmen und Start-ups können ein erfolgreiches Modell für die Zukunft darstellen.

Fazit

Die Kernstärke von Start-ups ist ihre Flexibilität bzw. Agilität, die es ihnen ermöglicht, auf Veränderungen und Schwierigkeiten schnell zu reagieren. Um diese Stärke optimal auszuschöpfen, ist Unabhängigkeit erforderlich. Ein zu starkes Streben nach Unabhängigkeit steht wiederum dem Eingehen von hohen Risiken und dem Ausnutzen von Marktchancen häufig entgegen. Ein passendes und ausgeglichenes Maß an Sicherheit und Verantwortung einerseits sowie Freiheit, Selbstbestimmung und Mut zu Fehlern andererseits sollte daher gefunden werden. Jedes Unternehmen, ob Konzern, traditionelles Familienunternehmen oder Start-up, und jede Unternehmerpersönlichkeit müssen individuell betrachtet und hinsichtlich Größe, Marktumfeld sowie Lebenszyklus des Unternehmens bewertet werden. Unabhängig davon ist Unternehmertum eine Haltung – keine Frage der Unternehmensgröße.

Nicht angepasst sein, das macht den Unternehmer aus. (Erich Sixt)

Und Unternehmer zu sein heisst, auch in schwierigen (Markt-)Phasen Herr im eigenen Hause zu sein!