Das K-Szenario

Eine Monsteraufgabe kommt auf Unternehmerfamilien zu

Prof. Dr. Arnold Weissman

Prof. Dr. Arnold Weissman

Gesellschafter

Nur etwa fünf Prozent aller Familienunternehmen erreichen die 4. Generation. Setzt man eine Generation mit rund 25 Jahren gleich, so werden die Sorgenfalten um das System Familienunternehmen tiefer: Wir befinden uns genau 75 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs – ein Zeitabschnitt, in dem viele Unternehmen neu gegründet wurden.

 

Das Verbinden der beiden Systeme Familienunternehmen und Unternehmerfamilie ist eine besondere Herausforderung, die zu Recht sehr viel Aufmerksamkeit verdient. Auf der einen Seite gibt es das Erfolgsmodell Familienunternehmen, das die Generationen überdauert, sich immer wieder neu erfindet und an die Spitze der Weltmärkte kommt. Bekanntlich gibt es nirgendwo auf der Welt mehr Weltmarktführer als in Deutschland und die ganze Welt beneidet uns um diese „Hidden Champions“, von denen manche gar nicht mehr so „hidden“ sind.

Marken wie Liebherr, Stihl, Kärcher, Uvex, Barth Haas, Zollner und viele andere, die hier gar nicht genannt werden können, genießen Weltruf. Sie setzen in ihren Branchen die Standards immer wieder neu. Sie sind stolz auf ihre Tradition und bereit, sich immer wieder neu zu erfinden. Begriffe wie „traditionserhaltende Erneuerung“ oder „kontinuierliche Revitalisierung“ finden sich dort oft. Die Bereitschaft zur Veränderung ist schon in den Genen des Unternehmens und der Unternehmerfamilie verankert.

Beim Enkel verfällt‘s

Doch es gibt auch die andere Seite. Die Statistik zeigt – je nach Studie – dass nur etwa fünf Prozent aller Familienunternehmen die 4. Generation erreichen. Wie heißt es doch im Volksmund: der Vater erstellt‘s, der Sohn erhält‘s, beim Enkel verfällt‘s. Offensichtlich gilt: Familienunternehmen sind nicht besonders geeignet für die vierte Generation! Setzt man eine Generation mit einem Zeitabschnitt von rund 25 Jahren gleich, so werden die Sorgenfalten um das System Familienunternehmen tiefer. Wir befinden uns genau 75 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Viele Unternehmen sind in diesem Zeitabschnitt entweder neu gegründet worden oder aber – auch wenn sie schon viel älter sind – praktisch neu gegründet worden.

Wenn die Statistik uns also zeigt, dass viele Familienunternehmen nicht für die vierte Generation angelegt sind, dann muss man sich ernsthaft Sorgen machen: Zum einen wegen der systemischen Krise, die jetzt bei vielen Familienunternehmen in Form von anstehenden Nachfolgeprozessen sichtbar wird. Zum anderen wegen der unternehmerischen Herausforderungen, die durch den immer schneller werdenden Wandel, speziell durch die Digitalisierung, auf die Unternehmen zukommen und die erst einmal bewältigt werden wollen. Und dann kommt noch – als wären die Herausforderungen nicht schon genug – auch noch die spezifischen, durch die Covid-19 ausgelösten Probleme dazu. In der Summe eine Monsteraufgabe, die ansteht!

Nach Corona: Welt wird eine andere sein.

Apropos Corona: Wie bei jeder großen Krise – und wir hatten in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit der Flüchtlingskrise, der Eurokrise, dem Brexit, Lehman, der Russlandkrise etc. ja nun wirklich genügend krisenhafte Phasen – haben wir uns am Anfang alle gefragt: Wie wird sich diese Krise auf unser Unternehmen, unsere Familie und natürlich auf unser Land auswirken? Heute können wir sagen: Die ökonomischen Folgen von Corona entsprechen den Folgen eines Weltkriegs. Nach Corona wird die Welt, unser Land und unsere Familienunternehmen anders aussehen.

Die Ökonomen versuchen gerne mit Buchstaben den Krisenverlauf darzustellen:

V: Dies hatten wir alle am meisten gehofft, dass es durch die Krise scharf nach unten geht und danach steil wieder nach oben. Nun, an den Weltbörsen hat sich der Verlauf genau so dargestellt. Doch dies gilt nicht für die Realwirtschaft, die mittlerweile weitgehend von der Finanzwirtschaft und ihren Kreisläufen entkoppelt ist.

U: Hier war die Annahme, dass es scharf nach unten geht, dann eine längere Rezession herrscht und sich die Wirtschaft dann wieder erholt.

L: Ein steiler Absturz, gefolgt von einer (länger) anhaltenden Rezession.W: Der „Double Dip“, den wir auch schon öfter erlebt haben. Hier ist die Annahme, dass es nach dem ersten Absturz und der nachfolgenden Erholung zu einem zweiten Krisenszenario kommt, gefolgt von einer zweiten Erholungswelle.

DE: Das dramatische Eskalationsszenario. Dies geht davon aus, dass ganze Branchen nachhaltig zerstört werden, Sozialsysteme kollabieren und die wirtschaftliche Krise zu einer politischen und sozialen Krise wird.

Wenn man sich die Situation heute – knapp sechs Monate nach dem Lockdown – ansieht, so kommt ein weiterer Buchstabe hinzu: das K, das die Kluft zwischen Krisengewinnern und -verlierern deutlich macht.

Es ist schwer zu übersehen, dass es Branchen gibt, die von den sich verändernden Rahmenbedingungen außerordentlich profitieren. Neben allen digitalen Lösungsanbietern, die uns von der Videokonferenz über das Online-Shopping, von der Kontaktplatt-form, den Lernplattformen bis hin zu Spielen alles von zu Hause aus bieten, profitieren auch Fahrradhändler und -hersteller, Wohnwagen, Camping, Baumärkte, Gartencenter, Tierbedarfshändler und Möbelmärkte. Regio und Bio wachsen, Cocooning ist der Hit des Sommers gewesen und wird es wohl auch bleiben. Wenn Fernreisen wegfallen, gewinnt der Urlaub zu Hause an Bedeutung. Auf der anderen Seite kollabieren ganze Branchen, zum Beispiel die Messeveranstalter, Reise- und Tourismusanbieter, Airlines, Flughäfen, Autovermieter, Schausteller, Gastronomen, Künstler. Stationäre Händler ohne E-Commerce-Angebot sind perspektivenlos.

Dazu kommt das Thema Nachhaltigkeit mit verstärkter Wucht auf die Unternehmen zu. Wenn Unternehmen wie Ikea ihren Lieferanten ankündigen, dass sie ab dem Jahre 2030 nur noch Produkte verkaufen werden, die vollständig in nachhaltigen Kreisläufen integriert sind, so zeigt dies die Größe der bevorstehenden Aufgaben an. Kalifornien will ab 2035 keine Verbrenner mehr zulassen, Markus Söder schließt sich gleich an und hält dies auch in Deutschland, zumindest in Bayern für eine gute Idee!

Man kann nicht nicht entscheiden

Jetzt werden die Richtungsentscheidungen getroffen, die entscheiden, ob ein Unternehmen morgen noch attraktiv und relevant ist. In der Kommunikation gilt: Man kann nicht nicht kommunizieren! In der Strategie gilt: Man kann nicht nicht entscheiden! Man entscheidet immer! Jetzt das Unternehmen mit aller Konsequenz auf die zunehmend digitale, volatile, unsichere und hochkomplexe Zukunft vorzubereiten, ist eine Entscheidung. Es nicht zu tun, ist auch eine Entscheidung. Und es ist Gegenstand einer Familienstrategie, in der die Familie – nicht nur das Unternehmen – eine Art Selbstvergewisserung vorzunehmen. Wollen wir ein Familienunternehmen bleiben? Oder definieren wir uns eher als Unternehmerfamilie, die im Rahmen eines Family Office ihr Vermögen verwaltet und das eigene Unternehmen eher als Teil eines Vermögensportfolios sieht, aber nicht mehr als den absoluten Kern der unternehmerischen Aktivitäten? Sind wir gegebenenfalls offen für die Beteiligung von Dritten? Professionalisieren wir unser Unternehmen durch einen Beirat? Machen wir unser Unternehmen fit für den Kapitalmarkt, was nicht gleichzusetzen ist mit einem Börsengang!?

Nach unserem Verständnis sollte ein gut geführtes Familienunternehmen jederzeit verkaufbar sein, aber es sollte nie verkauft werden müssen. Was ist denn ein Unternehmen wert, dass kein anderer zu einem vernünftigen Preis haben möchte? Und es sollte jederzeit kapitalmarktfähig sein, ohne den Kapitalmarkt wirklich zu brauchen. Bereit für den Kapitalmarkt, dies stellt ganz andere Anforderungen an Familienunternehmen als bisher. Transparenz, klare Strukturen, Reporting, Risikomanagement, Rating, Quartalsberichte – all dies sind Themen, die auch in den erfolgreichen deutschen Familienunternehmen heute oft ein Stiefmütter-Dasein pflegen. Man macht sie halt, weil es zum Teil der Gesetzgeber oder auch die Bank fordert, aber nicht aus innerer Überzeugung.

Klarheit der Strategie zentral

Die Klarheit in der Familienstrategie, gerade was diese Themen anbelangt, ist nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für die Familie von zentraler Bedeutung, ja existentiell. Manche Unternehmer bekommen diese gerade zu spüren, wenn – ausgelöst durch Corona, aber wahrscheinlich nicht verursacht – das Unternehmen in eine Liquiditätskrise kommt und das Oberziel der meisten Familienunternehmer, die Unabhängigkeit, verbunden mit dem Wunsch, das Unternehmen in die nächste Generation zu bringen, ins Wanken gerät.

In vielen Familienverfassungen, die wir von Weissman & Cie. als Begleiter der Familien oft mitgestalten durften, lautet die Präambel: „Unser Oberziel ist die Erhaltung der Unabhängigkeit unseres Familienunternehmens. Dabei legen wir besonderen Wert auf Bankenunabhängigkeit. Wir arbeiten dafür, unser Unternehmen in die nächste Generation zu bringen.“ Doch plötzlich kommen Bankvertreter und knüpfen weitere Finanzierungszusagen an Auflagen. Da werden Fortführungsprognosen eingefordert, Independent Business Reviews durch externe Dritte und im wirklichen Krisenfall IDW S6-Gutachten erforderlich. Damit sehen sich im Moment nicht wenige Unternehmer konfrontiert – und dies zum ersten Mal in ihrem Leben. Selbst bei der Lehman-Krise haben sie nicht erlebt, was gerade auf sie zurollt. Und diese Welle beginnt gerade erst zu rollen!

Wer in einer solchen Situation keine klare Position der Familie hat, wer nicht als Familie zusammenhält, sondern in Schuldzuweisungen, Vorwürfen und gegenseitigen Angriffen versinkt, der hat in einer solchen Situation kaum eine Chance. Gerade jetzt erweist sich, ob man eine wirkliche Familienstrategie hat und ob die Krise zusammenschweißt oder ob nicht nur das Familienunternehmen, sondern auch die Familie auseinanderfällt.

Erschienen in: DIE NEWS 10/2020 und Die Deutsche Wirtschaft

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