Denken in Rollen

Verkomplizierung oder Vereinfachung?

Lisa Ahrweiler-Weissman

Lisa Ahrweiler-Weissman

Senior Projektleiterin

In Unternehmen ist tägliches Handeln gefragt. Was genau bedeutet dies eigentlich? Es geht um die Frage: weiß jeder, was zu tun ist? Wie sind die Denkprozesse in Unternehmen? Was fällt auf? Was hilft und was hindert, dass das Gedachte Realität wird? In der Theorie ist alles typischerweise klarer und durchaus einfacher, als es sich im Alltag zeigt.

In einem schnell gewachsenen Unternehmen führte dieses Umsatzwachstum zu massiven Schmerzen in verschiedenen Ebenen: zunächst wurden (immer wieder) neue Mitarbeiter eingestellt, um die fachliche Bearbeitung zu ermöglichen. Der gesamte Wertschöpfungsprozess wurde komplexer, d.h. umfassender und detaillierter. Die Unterstützung dieses Prozesses war bereits durch eine komplett neue IT-Basis angefangen worden. Die gesamte Organisationsstruktur musste immer wieder umgestellt werden. Eine neue Führungsstruktur wurde erforderlich.

In der Folge wurde das gesamte Unternehmen unruhig, chaotisch, massiv mit sich selbst beschäftigt, orientierungslos. Weil der Überblick für jeden einzelnen im Unternehmen immer schwieriger wurde, das Verantwortungsbewusstsein weiter sehr hoch war, versuchten viele Mitarbeiternde, wenigstens ihren primären Aufgabenbereich im Detail zu lösen. Dadurch wurden weitere Probleme ausgelöst. Das Denken im Zusammenhang wurde ständig unterbrochen, verändert zunehmend schwierig, anspruchsvoller. Aufgaben wurden immer schwieriger zu finalisieren. Die Kultur im Unternehmen veränderte sich. Das Miteinander-Agieren wurde von immer weniger Mitarbeitern verfolgt. Eine Art der Verteidigung der eigenen Leistungen begann, Abteilungen verteidigten ihre Ergebnisse. Anderen wurden die Schuld an den unzureichenden Ergebnissen gegeben. Zusätzlich fühlten sich die Mitarbeiter immer führungsloser. Entscheidungen in allen Themenbereichen wurden unbegründet vollzogen und auch immer wieder kurzfristig revidiert. Letztlich war unklar, was genau gilt.

Was ist zu stabilisieren, was ist flexibel zu halten?

Ein Denken auf Basis von Stellen- bzw. Funktionsbeschreibungen ist in diesem Fall nicht hilfreich oder zielführend. Es führt sogar dazu, dass immer das Argument „dafür bin ich nicht zuständig“ benutzt wird. Fatalerweise bleibt immer mehr liegen, wird nicht gelöst und verursacht Folgeprobleme im weiteren Bearbeitungsprozess. In Kombination mit der rudimentären, jungen Führungsstruktur verlangsamt sich der Wertschöpfungsprozess massiv und wird immer fehleranfälliger. Es musste sich etwas ändern. Denken in Rollen auf Führungsebene – ein Klärungsansatz?

Unser Basissystem – erste Rollen

Historisch gesehen sind wir es gewohnt in Rollen zu Agieren. Der Klassiker des Vater-Mutter-Kind-Systems ist grundsätzlich jedem bekannt. Klar sind an diesem (Familien-) System die drei Rollen und die damit verbundenen Verantwortlichkeiten/Aufgaben, Beziehungen sowie die Ordnung im System. Im Laufe unseres Lebens durchlaufen und erleben wir verschiedene Systeme: Kindergarten, Schule, Kirche, Gesellschaft und Unternehmen. Wir lernen unbewusst und automatisch, Rolleninhaber im jeweiligen System zu sein. Aus dieser Kurzbetrachtung wird ersichtlich, dass wir gleichzeitig in verschiedenen System sind. Das heißt, dass wir mehrere Rollen haben. Als Kind ist man Sohn/Tochter und entwickelt sich im System (Kern-) Familie. Als Kindergartenkind kommt das System Kindergarten dazu usw.

System Unternehmen – Rollen in Unternehmen

Überträgt man diese Basislogik in Unternehmen zeigt sich auch hier, dass wir uns in verschiedenen Rollen bewegen bzw. handeln. Das Kriterium zur Rollendefinition ist die Definition des Systems, in dem man sich gerade befindet:

  • Unternehmen – Geschäftsführer
  • Abteilung XY (Produktion) – Produktionsleiter
  • Prozessschritt / Funktionsbereich – Prozessverantwortlicher / Funktionsträger

Damit definiert der jeweilige Systemzweck Sinn und Inhalt der Handelnden in dem jeweiligen System. Handlungs-, Aufgaben- und Entscheidungsrahmen lassen sich definieren. Dies ist allerdings kein Selbstfindungsprozess für den Einzelnen. Vielmehr sollte das System Unternehmen grundlegende Kernthemen klar haben bzw. sich intensiv damit beschäftigen: Unternehmenszweck, Unternehmensstrategie, Geschäftsmodell, Wertschöpfungsprozess, Struktur / Organisation. Anders ausgedrückt sollte jedem im Unternehmen klar sein: was genau wollen wir am Markt verkaufen, welchen Nutzen bieten wir unseren Kunden, wie machen wir das? Abhängig vom Reifegrad der Unternehmen ist dies im Zeitablauf selbstverständlich immer wieder zu hinterfragen, anzupassen, nachzujustieren, vielleicht sogar disruptiv zu verändern. Die Kernthemen bleiben. Sie geben die Orientierung für jeden, der es als sinnvoll erachtet, in diesem Unternehmen zu arbeiten.

In der Konsequenz ergibt sich für jeden Funktionsträger seine Rolle. Die Funktion bestimmt seinen Denkrahmen. D.h. der Rollenträger denkt, er- oder bearbeitet seine konkrete Aufgabenstellung (im Wertschöpfungsprozess) sowie die damit verknüpften Herausforderungen, Schwierigkeiten und Risiken. Dies gelingt, weil der Rollenträger permanent in diesem Kontext entscheidet. Hoffentlich nach der Maxime: tue ich die richtigen Dinge und tue ich die Dinge richtig – effektives und effizientes Arbeiten.

Verbindungen in Unternehmen – notwendiger und kritischer Faktor

Damit könnte ein Unternehmen doch „funktionieren“. Jeder weiß, was er zu tun hat. Dafür haben wir dich eingestellt, dafür wirst du bezahlt. Neben dem Aspekt, dass ein Funktionsträger (noch) nicht alles kann, um seine Aufgabe bewältigen zu können, ist die Verbindung zwischen den Funktionsträgern weiterer elementarer Faktor. Über dieses Verbindungsgefüge bekommt der Funktionsträger idealerweise alle Informationen, um seine Funktion zu erfüllen „in einer idealen Welt“. Betrachtet man die Verbindungen zwischen Funktionsträgern zeigt es sich, dass es hier um den Informationsaustausch auf der sachlichen Ebene, die Art und Weise des Austauschs auf der emotionalen Ebene sowie um den Zeitpunkt des Informationsaustausches, dem Aspekt der Dynamik, geht.

Ein überspitzes Beispiel: Ich kann eine Aufgabe nicht bearbeiten, weil ich nicht genau weiß, was mein Vorgesetzter will, ich von den Kollegen Informationen (Lieferantenproblem, Produktionsproblem etc.) nicht bekomme und der Kunde den Lösungsvorschlag schon längst haben wollte und jetzt verärgert ist. Damit wird klar, dass das Verbindungsgefüge im Unternehmen (und zum Umfeld) entscheidend ist, ob ein Funktionsträger effizient und effektiv arbeiten kann.

Im skizzierten Beispielfall zeigte es sich, dass allein aufgrund des (Umsatz-) Wachstums umfassende Unklarheiten entstanden sind. Das Handeln des Einzelnen war immer weniger eigenständig möglich. Sachlich inhaltlich fehlten immer mehr Informationen, entschieden wurde zunehmend nach dem Prinzip „besser als nichts, versuche damit weiterzukommen. Dann musst du eben improvisieren.“ Damit wurden Folgewirkungen ausgelöst, in einem zunehmenden Tempo.

Rollenmodelle als Lösungsmöglichkeit

Wie kann man eine solche Situation auffangen? Die Bildung von Strukturen hilft – im Sinne von Ober- und Unterstrukturen inklusive Führung.

  1. Installierung eines Führungsteams mit klaren Funktionsbereichen:
    Ausgangsbasis für die Bildung von Funktionsbereichen ist das Geschäftsmodell und insbesondere der Wert-schöpfungsprozess. Die aufeinander aufbauenden Wertschöpfungsschritte ergeben i.d.R. eine Logikstruktur für Funktionsbereiche. Dies ist die Basis für Funktionen oder Stellen. Funktionsleiter führen Kernprozesse bzw. Kern-Prozessschritte des Wertschöpfungsprozesses. Funktionen skizzieren den Handlungsrahmen des Funktionsleiters oder anders ausgedrückt seine Aufgabenfelder. Um handlungsfähig zu sein, ist der Funktionsleiter für genau dieses Handlungsfeld (Funktionsbereich) entscheidungsfähig. Der Handlungsrahmen entspricht dem Entscheidungsrahmen. Dies impliziert Abstimmungsprocedere für Schnittstellenthemen.

  2. Im Funktionsbereich – Teamführung im Funktionsbereich:
    Im Team des jeweiligen Funktionsbereichs wird das jeweilige Fachthema auf- und ausgearbeitet bzw. idealerweise durch den Aufgabenträger gelöst. Erfolgt dies im Sinne des Wertschöpfungsprozesses, beinhaltet diese Lösung die Dokumentation und Kommunikation des Ergebnisses – mit der Konsequenz, dass die Aufgabe kundenorientiert gelöst ist.

  3. Quer über den Wertschöpfungsprozess – Arbeitsteams zu verschiedenen Themenfeldern / Task Forces: Arbeitsteams zu verschiedenen Themenfeldern, die quer über den Wertschöpfungsprozess aufgebaut werden, sorgen im Detail dafür, dass ein Denken in Zusammenhängen, fachlicher notwendiger Input erst möglich wird. Dies beinhaltet technische Lösungen, prozessuale Möglichkeiten, Kunden-Handling und vieles mehr. Hier kommt insbesondere die Erfahrung des einzelnen Rollenträgers zum Tragen, wenn in gemeinsam zu lösenden Aufgabenstellungen / Problemstellungen das Wissen und die Erfahrung des Einzelnen nur in Kombination mit dem Wissen und der Erfahrung der anderen, also des Teams, die die Aufgabenstellung gemeinsam verfolgen, zusammenkommt.

Im Beispielfall war die Abstimmung der Funktionsleiter nicht ausreichend vorhanden. Zusätzlich war der Entscheidungsraum sehr eingeschränkt bzw. konnte nicht genutzt werden. Ursache hierfür war die ständige Einmischung der Geschäftsführung, auch um getroffene Entscheidungen immer wieder zu ändern, nicht immer zum Vorteil des Ergebnisses. Die formale Etablierung der Führungsteams führte dazu, dass der eigentliche Wertschöpfungsprozess stabilisiert wurde, systematische Abstimmungen für Sicherheit in der Entscheidungsfindung sorgten und die Arbeitsergebnisse sich massiv verbesserten.

Fazit

Menschen brauchen in Unternehmen ein Gefüge,

… das die Logik des Geschäftsmodells widerspiegelt
… das den Wertschöpfungsprozess abbildet
… das ein Ordnungssystem der Funktionsträger ermöglicht
… das ein Beziehungsgefüge beinhaltet, welches neben Kommunikation Beziehungen zwischen den Menschen schafft.

Hier zeigt sich die Qualität der Führung, werden diese Notwendigkeiten erkannt, entwickelt und im Zeitablauf kritisch konstruktiv begleitet, ist die Chance auf ein erfolgreiches, überlebensfähiges Unternehmen gegeben.

Denken in Rollen

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