Die Grenzen zwischen klassischer Beratung und persönlichem Coaching verschwimmen

Interview mit Dr. Alexander Koch & Johannes Josnik | Consulting.de, 13.09.2022

Dr. Alexander Koch

Dr. Alexander Koch

Geschäftsführender Gesellschafter

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Mittelständische und familiengeführte Unternehmen stehen vor ganz spezifischen Herausforderungen. Gleiches gilt für die Consulting-Häuser, die sie beraten. Im Rahmen des Dossiers „Blurring Boundaries“ erläutern Johannes Josnik und Alexander Koch von Weissman & Cie., wie sich in ihrer Praxis Grenzen hinsichtlich Inhalts und Rolle der Beratung verschieben und wie sich ihr Unternehmen auf kommende Herausforderungen einstellt.

Wenn Sie bezogen auf die Consulting-Branche an „Blurring Boundaries“ bzw. verschwimmende Grenzen denken: Welche Phänomene und konkrete Beispiele verbinden Sie damit?

Johannes Josnik: Dieses Phänomen ist, um ehrlich zu sein, nicht unbedingt etwas Neues: Auch früher waren die Themen in unseren Kundenprojekten verschwimmend. Was jedoch neu ist, dass es kaum Unternehmen gibt, bei denen wir als Beratung „nur“ ein klar abgestecktes Thema bearbeiten. Man merkt, dass sich Unternehmen zunehmend unklaren Herausforderungen konfrontiert ist, wo es nicht den einen Lösungsweg gibt.
Doch meist merken wir schnell, dass es daneben noch einer Organisationsentwicklung bedarf, damit das Unternehmen schnell und flexibel agieren und die Strategie umsetzen kann. Danach kommt eigentlich die größte Herausforderung: Die Umsetzung! Dabei geht es dann vielmehr um einen Change- oder Transformationsprozess, in dem es heißt, wichtige Stolpersteine zu vermeiden und die richtigen Schritte zum richtigen Zeitpunkt zu gehen. Die meisten Probleme sind nämlich dabei nicht auf der Fachebene, sondern meist auf der kulturellen Seite.

Dr. Alexander Koch: Dazu gehört es auch immer wieder, gerade Führungskräfte oder ganze Führungsmannschaften in dieser Entwicklung aktiv zu begleiten. Coaching in Führungsmethoden, gemeinsame Trainings im Team sind hier sehr gefragt. Denn die Fähigkeit zu führen ist bekanntermaßen nicht bei jeder Führungskraft gleichermaßen ausgeprägt. Ein gemeinsames Verständnis im Team davon, wie man die Organisation führen möchte, wie mit Feedback umgegangen werden soll und so weiter, ist noch weitaus seltener. Hier braucht es häufig Unterstützung und gemeinsame Übung.

Einige sehr große Consulting-Häusern scheinen sich über zahlreiche Akquisen (Bsp. von Kreativ-Agenturen oder CX-Beratungen) als Full Service-Beratungen für alle Unternehmensbereiche und -ebenen positionieren zu wollen. Denken Sie als Weissman & Cie. ebenfalls darüber nach, Ihr angestammtes Portfolio zu erweitern? Wenn ja: Welche Beratungsinhalte würden Sie gerne dazunehmen? Wenn nein: Gibt es bewusste Überlegungen, dies nicht zu tun?

Johannes Josnik: Ich finde die aufgezeigte Entwicklung zeigt eindeutig, worauf es bei wirklich guter Beratung ankommt: die Fähigkeit, ein Unternehmen ganzheitlich zu beraten. Gerade in der Strategieentwicklung und Transformationsbegleitung ist es entscheidend, als Trusted Advisor agieren zu können. Und ein Weg, das anbieten zu können, ist es, über verschiedene Akquisen neue Bereiche in das Portfolio zu holen. Wir bei Weissman & Cie. fahren bewusst eine andere Strategie, da wir in der Praxis erlebt haben, dass es eben nicht nur darum geht alles anzubieten, sondern vielmehr zu wissen, wie das Zusammenspiel der verschiedenen Bereiche und Themen funktioniert. Und das verstehen wir als unseren Ansatz: Wir orchestrieren die Transformation beziehungsweise den Change-Prozess und wissen dabei aber auch, wo es „Spezialisten“ zum Beispiel für Systemeinführungen oder Produktionsprozessoptimierungen benötigt.

Aus Ihrer Erfahrung im Umgang mit Ihren Kunden aus dem Mittelstand: Werden dort die verschwimmenden Grenzen im Consulting ebenfalls wahrgenommen? Welche Reaktionen erhalten Sie? Inwieweit geht diese Entwicklung gegebenenfalls am Bedarf des Mittelstandes vorbei?

Johannes Josnik: Wir merken, dass unsere Kunden meist jemanden suchen, der hilft mehr Klarheit zu erlangen und dabei unterstützt, Entscheidungen auch unter Unsicherheit zu treffen. Gerade bei unseren Kunden ist es ebenfalls absolut entscheidend pragmatische Ansätze zu wählen, die auch zum jeweiligen Unternehmen passen. Deswegen hören wir ja auch nicht bei der konzeptuellen Phase auf, sondern begleiten viele unserer Kunden auch intensiv bei der Umsetzung. Erst kürzlich hatten wir so einen Fall: Hier hat uns ein Unternehmen angerufen, da sie eine Strategie mit externer Unterstützung erstellt haben, jetzt aber nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Die erarbeitete Strategie war methodisch absolut sauber, die Inhalte waren sehr schlau und haben viele wichtige Punkte abgedeckt. Eins war sie jedoch nicht – mittelstandstauglich und für den Kunden passend.

Welche Auswirkungen hat es Ihrer Ansicht nach auf den Beruf des Consultants und seine Reputation, wenn eine Vielzahl weiterer Tätigkeitsfelder zukünftig ebenfalls unter diese Bezeichnung fallen?

Johannes Josnik: Häufig ist man ja mit der Aussage konfrontiert, dass man als Consultant ja eh nur teure Konzepte im stillen Kämmerlein erstellt. Ich finde das tatsächlich sehr schade, denn Beratung kann und ist viel mehr. Dr.

Alexander Koch: Es ist doch immer eine Frage, wie man selbst dem Kunden gegenüber auftritt. Wenn ich natürlich den Anschein erwecken möchte, dass ich als Berater in praktisch jedwedem Fachbereich Experte bin und im Grunde auf alle Fragen direkt die richtigen Antworten geben kann, mache ich mich unglaubwürdig. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für Beratungsunternehmen als Ganzes. Wir selbst haben uns auf Familienunternehmen fokussiert. Dafür stehen wir. Wir haben nicht auf alle fachlichen Fragen aus den eigenen Reihen heraus immer die richtigen Antworten. Wir können aber unseren Kunden bei den wesentlichen unternehmerischen Fragen begleiten, auch indem wir unser Partnernetzwerk aktiv mit einbeziehen. Vielen Familienunternehmen – so erleben wir das – ist es wichtig, einen Ansprechpartner zu haben, an den sie sich wenden können. Auch wenn dieser das Problem vielleicht nicht immer selbst lösen kann. So wirkt sich das auch auf unseren Beruf aus. Wir sind nicht nur fachlicher Berater und Begleiter, sondern wir müssen es immer mehr verstehen, in Netzwerken zu agieren und die Netzwerkpartner für unsere Kunden zu orchestrieren.

Beratungen werden unserer Beobachtung nach häufiger als früher von Kundenunternehmen gerne als verlängerte Werkbank genutzt. Was sind hier Ihre konkreten Beobachtungen und Erfahrungen? Welche Potenziale werden vergeudet?

Dr. Alexander Koch: Wenn wir als Berater als verlängerte Werkbank tätig werden, meinen wir, dass wir für den Kunden als Externe ein Problem lösen, das der Kunde selbst nicht lösen kann. Dass wir vielleicht in eine Rolle gehen, die es beim Kunden nicht gibt. Vielmehr müssen wir beim Kunden selbst die Fähigkeiten aufbauen, bestimmte Probleme zu lösen. Dabei begleiten wir ihn. Und das ist auf lange Sicht viel wirksamer. Ein gutes Beispiel ist das Aufsetzen und die Steuerung von größeren Umsetzungsprogrammen für die Realisierung der Strategie. Manch einer wird sagen, dass man sich mit einem solchen Ansatz als Berater ja überflüssig macht. Stimmt auch. Aber eben „nur“ in diesem einen Thema. Wir machen oft die Erfahrung, dass der Kunde genau das an uns schätzt und bei seiner nächsten unternehmerischen Fragestellung wieder auf uns zukommt.

Johannes Josnik: Man kann das Thema auch noch von der anderen Seite her betrachten: Wenn man als Unternehmen Beratende nicht als Ansprechpartner auf Augenhöhe sieht, sondern als reine Dienstleister, die einen eng abgesteckten Rahmen zu bearbeiten haben, sorgt man dafür, dass das Know-how und die Kompetenz, die gute Beratende mitbringen, nicht wirklich abgeschöpft werden kann. Und auch hier gilt: Sicherlich ist es auch mal gut, für ein bestimmtes Thema Kapazitäten einzukaufen, sofern man es nicht selbst leisten kann. Reduziert man dabei aber den Beratenden auf jemanden, der nur Folien und Konzepte erstellen soll, verpasst man die Chance, einen Sparringspartner auf Augenhöhe zu haben.

Welche Rolle sollten Beratende Ihrer Meinung nach spielen? Welche Beratungsthemen sind bei Ihren Kunden besonders gefragt?

Dr. Alexander Koch: Vor allem in Familienunternehmen sind wir als Berater umso wirksamer, wenn wir, wie gesagt, weniger "nur" fachlicher Berater sind, um ein bestehendes Problem zu lösen. Sondern wir wollen als unternehmerischer Begleiter auf Augenhöhe die Unternehmer unterstützen, dass sie bessere Entscheidung zu treffen und vor allem dann auch umsetzen. Unsere Kunden begleiten wir bei Themen, die in aller Regel mit der zukünftigen Ausrichtung des Unternehmens zu tun haben. Dazu gehört natürlich die Strategie, aber immer mehr auch die passende Organisation. Mit Organisation ist einerseits die Führungsstruktur gemeint. Wie sieht das Organisationsmodell zunächst auf einer höheren Flughöhe im Groben aus? Welche Rollen gibt es auf Führungsebene? Wie möchten Gesellschafter und Geschäftsführer ihr Unternehmen künftig führen? Welche Erwartungen haben sie dabei an ihre Führungsmannschaft? Umso wichtiger wird dabei, dass Gesellschafter und Geschäftsführer lernen müssen, mehr und mehr loszulassen, ihre Führungsmannschaft auch wirklich Verantwortung übernehmen zu lassen, um die vielen Aufgaben überhaupt bewältigen zu können. Und das fällt vielen Unternehmern nach wie vor extrem schwer. Hier erkennt man, dass es meist neben den konkreten fachlichen Themen eben auch um einen erfolgreichen Change-Prozess geht.

Welche Kompetenzen sollten Unternehmensberatungen der Zukunft mitbringen? Worauf legen Sie bei der Rekrutierung mit Blick auf aktuelle und kommende Herausforderungen Wert?

Dr. Alexander Koch: Für die Rolle, einen Unternehmer bei seinen wesentlichen unternehmerischen Fragestellungen auf Augenhöhe zu begleiten, braucht es Generalisten. Idealerweise hat jemand sogar schon eigene unternehmerische Erfahrungen gemacht oder die Praxis in einer früheren Rolle schon einmal selbst erlebt. Die reine Spezialisierung ist hier nicht mehr ausreichend. Diese vielschichtigen Fähigkeiten in der Beratung aufzubauen, beginnt natürlich schon bei der Auswahl der passenden Menschen. Für uns ist es im Recruiting schon extrem wichtig, nicht nur auf die fachlichen Fähigkeiten zu schauen. Und es ist für uns besonders wichtig, dass wir ein gutes Gefühl dabei haben, jemanden direkt und aktiv beim Kunden zu platzieren. Das geht weit über die fachlichen Fähigkeiten hinaus, die jemand mitbringt. Genau da haben wir die Erfahrung gemacht, dass jemand, der sozusagen als „Quereinsteiger“ in die Beratung geht, häufig schon entsprechende Fähigkeiten und Praxiserfahrung mitbringt, die man bei einem „klassischen“ Beraterwerdegang erst im Lauf der Zeit aufbauen kann und muss.

Was sollten Beratungshäuser tun, um die entsprechenden Skills/Kompetenzen zu entwickeln? Was tun Sie?

Dr. Alexander Koch: Was die Weiterentwicklung von Kompetenzen angeht, setzen wir auf drei Stoßrichtungen: Die erste ist, die Kollegen aktiv bei der Weiterbildung in bestimmten Basis-Kompetenzen für Berater zu unterstützen. Das versteht sich ja fast von selbst. Die zweite sehen wir darin, dass Berater für sich aus einem eigenen Interesse oder aus dem bisherigen Werdegang heraus bestimmte fachliche oder branchenbezogene Spezialkompetenzen aufbauen und weiterentwickeln, die für unsere Kunden von Bedeutung sind. Das können Themen rund um die Digitalisierung sein, aber auch Methoden für die Strategieumsetzung, fachliche Inhalte für die Organisationsentwicklung, Kompetenzen in Controlling und Planungssystemen und so weiter. Und schließlich – das ist aus meiner Sicht ebenso wichtig und effektiv – das Lernen im Projekt, direkt beim Kunden, in unterschiedlichen Projekten und unterschiedlichen Branchen. Da ist die Lernkurve meistens am steilsten. Und das unterstützen wir im Prinzip vom ersten Tag an.

Erschienen in: Consulting.de, 13.09.2022

Lesedauer: 7 Minuten

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