„War for (digital) Talents“

Der Fachkräftemangel im deutschen Mittelstand

Peter Renner

Peter Renner

Senior Berater

Aus Sicht der Bewerber/-innen hat der Fachkräftemangel etwas Gutes: Im „War for Talents“ haben sie zumeist die Verhandlungsmacht. Unternehmen sind gezwungen auf ihre Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Insbesondere mittelständische Unternehmen in Deutschland müssen sich darauf einstellen. Die größte Herausforderung dabei: Sie konkurrieren nicht nur mit ihresgleichen, sondern treten auf dem Arbeitsmarkt auch gegen international bekannte Konzerne sowie junge, agile Start-ups an.

Fachkräftemangel – Mythos oder Realität?

Im Jahr 2018 hat es durchschnittlich 107 Tage gedauert, bis Unternehmen offene Stellen besetzt haben. In einigen Engpassberufen sogar wesentlich länger. Laut einer Schätzung der Unternehmensberatung Ernst&Young entgehen dem deutschen Mittelstand rund 50 Milliarden Euro Umsatz, weil zu viele Stellen unbesetzt bleiben. Doch nicht nur die Umsätze, sondern auch die digitale Transformation von Unternehmen, deren Innovationskraft und weitere Faktoren leiden unter dem Fachkräftemangel (Quelle: Welt).

Ab wann man von einem (flächendeckenden) Fachkräftemangel sprechen kann ist nur schwer zu definieren. Unter Experten gibt es daher verschiedene Ansichten: Die einen leugnen den Fachkräftemangel, die anderen schlagen Alarm. Meines Erachtens ist diese Diskussion aber nur bedingt relevant, denn Fakt ist: Viele Unternehmen tun sich schwer, passende Mitarbeiter zu finden. Das belegen nicht nur zahlreiche Umfragen. In nahezu all unseren Beratungsprojekten klagen unsere Kunden über fehlende Fachkräfte. Somit besteht hier ein reales Problem, das wir angehen müssen: Der „War for Talents“ ist eröffnet!

Was Arbeitnehmer heute fordern

Um Arbeitnehmer und deren Forderungen zu verstehen, muss man zwischen ihren Wünschen und Bedürfnissen unterscheiden. Wünsche beschreiben etwas, das man gerne hätte, aber nicht unbedingt braucht. Daher wünschen sich viele Arbeitnehmer nach wie vor ein hohes Gehalt und materielle Dinge wie einen Dienstwagen oder ein Smartphone. Doch Geld und materielle Anreize alleine schaffen mittel- und langfristig weder Motivation noch binden sie Mitarbeiter emotional an das Unternehmen. Oft werden sie heute als selbstverständlich wahrgenommen.

Die verschiedenen Entwicklungen in der Gesellschaft und Arbeitswelt führen dazu, dass Arbeitnehmer zunehmend Wert auf ihre Bedürfnisse legen. Diese sind meist immaterieller Natur und daher oftmals schwer zu greifen: Mitarbeiter erwarten, in ihrer Individualität wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden. Sie wollen selbstbestimmt und flexibel arbeiten, anstatt lediglich Anweisungen zu befolgen. Stichworte wie Wertschätzung, Anerkennung, Vertrauen und Kultur werden immer wichtiger. Kurz gesagt: Mitarbeiter möchten sich am Arbeitsplatz wohlfühlen. Insbesondere für junge Talente, also heutige Schul- und Studienabsolventen der Generation Y und Z, ist Arbeit weit mehr als nur ein Mittel, um den Lebensunterhalt bezahlen zu können. Sie suchen nach sinnstiftenden Berufen, stellen ethische Fragen und wünschen sich flexible Arbeitszeitmodelle (Quelle: FAZ).

Die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte in Deutschland wird von heute auf morgen nicht plötzlich wieder ansteigen. Es ist also unbedingt notwendig, die Wünsche und Bedürfnisse der eigenen Mitarbeiter zu kennen, um auf Basis dessen ein System und eine Kultur zu schaffen, in der sie heute und in Zukunft gerne arbeiten.

Die eigenen Vorzüge sichtbar machen

Den Anforderungen der Arbeitnehmer gerecht zu werden ist die erste Herausforderung im „War for Talents“. Mittelständische (Familien-)Unternehmen haben hierfür gute Voraussetzungen: Im Vergleich zu Konzernen haben sie nur geringe und oft flache Hierarchien. Es herrscht zumeist hoher Pragmatismus bei kurzen Entscheidungswegen, wodurch jeder Mitarbeiter etwas bewegen kann. Außerdem fördert eine oft sehr familiäre Kultur das Wohlbefinden der Mitarbeiter. Somit ist es nicht verwunderlich, dass die Fluktuationsquote in Familienunternehmen deutlich geringer ist als die in Aktiengesellschaften (Quelle: Annette-Louise Hirmer: Familienunternehmen als Kategorienmarke).

Auf Basis dieser guten Ausgangslage liegt die zweite große Herausforderung im „War for Talents“ darin, das eigene Unternehmen und dessen Vorzüge auf dem Arbeitsmarkt für die relevanten Talente sichtbar zu machen. Das Problem: Während Wettbewerber auf dem Produktmarkt meist ähnlich strukturiert sind, treten auf dem Arbeitsmarkt alle gegeneinander an. Ein mittelständisches Unternehmen muss also auch mit international bekannten Konzernen und agilen, jungen Start-ups konkurrieren.

Die klassische Stellenanzeige hat ausgedient

Um ihre Vorzüge als Arbeitgeber sichtbar zu machen, müssen sich Unternehmen daher zunehmend von traditionellen Recruiting-Maßnahmen lösen und neue Wege gehen. Einige der vielversprechendsten Maßnahmen sind:

1. Arbeitgebermarke: Gehen Sie beim Aufbau einer attraktiven Arbeitgebermarke nicht nur auf die materiellen Vorzüge Ihres Unternehmens ein. Werben Sie auch aktiv mit den immateriellen Anreizen, die die Bedürfnisse der potenziellen Bewerber befriedigen. Richten Sie Ihre Employer-Branding Maßnahmen dabei stets an den Anforderungen Ihrer Zielgruppe aus.

2. Active Sourcing: Im Kampf um die besten Talente ist es nicht mehr ausreichend, eine Anzeige zu schalten und auf den richtigen Bewerber zu warten. Gehen Sie daher aktiv auf die Suche nach potenziellen Mitarbeitern (z.B. auf Karrieremessen, Events oder in Social Media).

3. Social und Mobile Recruitment: Online-Stellenanzeigen haben längst die Print-Versionen abgelöst. Doch die Zielgruppen sind heute nicht mehr „nur“ online unterwegs. Vielmehr finden die Aktivitäten der Digital Natives im Social Web und über mobile Endgeräte statt. Passen Sie sich daran an und werden Sie dort aktiv, wo sich Ihre Zielgruppe aufhält.

4. Talent Pools und Communities: Der sukzessive Aufbau von Talent Pools bzw. Communities hilft Ihrem Unternehmen dabei, den Kontakt zu vielversprechenden Talenten wie ehemalige Praktikanten, Studenten, Interessenten von Karrieremessen, etc. zu halten und sie bei Bedarf einzustellen.

5. Mitarbeiterempfehlungsprogramme: Nicht selten werden die besten Talente durch persönliche Empfehlungen der eigenen Mitarbeiter eingestellt. Forcieren Sie dies durch die Einführung eines Mitarbeiterempfehlungsprogramms. Hierbei werden Mitarbeiter für die erfolgreiche Empfehlung eines neuen Talents belohnt.

Zur Durchführung aller Maßnahmen ist es essentiell, dass Sie die Wünsche und Bedürfnisse Ihrer Zielgruppe kennen, um sie individuell und aktiv ansprechen zu können. Aufgrund des Fachkräftemangels sind potenzielle Bewerber am Arbeitsmarkt mit Ihren Kunden am Produktmarkt zu vergleichen. Schaffen Sie ihnen ein sichtbar besseres Angebot als Ihre Wettbewerber, um den „War for Talents“ für sich zu entscheiden!

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