Vom Commodity-Handel zum Geschmacksexperten mit eigenen Produkten

Marktpotenzial-Einschätzung als Grundlage für Investitionen in ein neues Geschäftsmodell

Julian Vögele

Julian Vögele

Senior Projektleiter

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Der Erfolg vieler Familienunternehmen zeichnet sich durch eine absolut klare Spezialisierung und Perfektionierung eines Produktes oder einer Dienstleistung aus. Häufig in Nischen oder mit weniger bekannten Produkten haben es diese „Hidden Champions“ geschafft, sich eine eindeutige Positionierung aufzubauen und damit in ihrem Segment die Nummer Eins zu sein. In zunehmend gesättigten, wettbewerbsintensiveren Märkten genügt diese Nischenfokussierung aber nicht mehr. Es gilt das Geschäftsmodell zu erweitern oder grundlegend zu verändern, um weiteres Wachstum zu realisieren oder um wegbrechende Umsätze zu kompensieren. Die Erkenntnis dazu ist schon ein entscheidender Schritt, aber nun stellt sich, aufgrund der starken Fokussierung für viele zum ersten Mal nach langer Zeit, die Frage nach möglichen Marktpotenzialen und Erlösen. 

In dieser Case Study haben wir eines unserer Kundenprojekte beschrieben, in dem wir genau auf diese Fragestellung gestoßen sind. Wir zeigen auf, wie wir unseren Kunden – einem Marktführer im Hopfenhandel – unterstützt haben, das mögliche Marktpotenzial für die Erweiterung seines Geschäftsfelds vom reinen Commodity-Handel zu einem eigenen Produktgeschäft abzuschätzen und welche Rolle Customer Insights neben der reinen wissenschaftlichen Datenanalyse gespielt haben.

Ausgangssituation

In den vergangenen Jahren konnte unser Kunde erheblich vom Marktwachstum profitieren. Als zentrale Anlaufstelle zwischen Hopfenanbau und Kunde (in diesem Fall zum Großteil Brauereien) war das Unternehmen schon immer stark positioniert, zumal es über tiefe Expertise und entsprechende Kapazitäten mit einem eigenen Werk im Bereich der Veredelung der Rohware verfügt.

Eine Herausforderung war und ist aber schon immer, neben den im Landwirtschaftsbereich immer möglichen klimatischen Ernteschwankungen teils mit erheblichem Ausmaß, die Differenzierung vom Wettbewerb, der im Commodity Bereich (der einen Großteil der Produkte ausmacht) auf der reinen Produktseite nahezu identische Produkte anbietet. Schon vor vielen Jahren wurde daher ein konsequenter Weg eingeschlagen, neben dem Produkt umfassende, begleitende Service-Leistungen anzubieten, um sich so, durch einen klaren Kundennutzen zu differenzieren.

Durch den fortschreitenden Rückgang des Alkoholkonsums in der Gesellschaft, der zu einem weltweit abnehmenden Bierabsatz führt, sowie den zusätzlichen erschwerten Bedingungen infolge der Corona Pandemie, erhöhte sich der Druck auf den Markt zusätzlich. Vor diesem Hintergrund stand unser Kunde vor der entscheidenden Frage, wie der Umsatz trotz des rückläufigen Hopfenbedarfs aufrechterhalten und sogar gesteigert werden kann.  

Neben dem Verkauf der klassischen (Pellet- und Extrakt-) Produkte gab es schon immer wieder Ansätze für eigene Produkte (sog. „advanced products“), die entweder einzigartige Geschmackskreationen ermöglichen oder den Brauprozess massiv in seiner Effizienz steigern, wodurch maßgebliche Kosteneinsparungen auf Kundenseite möglich sind. Aufgrund des verhältnismäßig geringen Umsatzanteils konnten diese aber nie wirklich in den Vordergrund treten bzw. der zwar austauschbare aber dennoch erfolgreiche Commodity Markt hatte „hausintern“ immer Vorfahrt.

Fragestellung

Um zu klären, ob die „advanced products“ Potenzial haben, neben dem Kernsortiment, eine relevante Umsatzgröße einzunehmen, sollte das Marktpotenzial abgeschätzt werden, da mit der Entscheidung das Produktgeschäft auszubauen erhebliche Investitionen verbunden sind. 

Bei der Bewertung sind nicht nur die objektiven Vorteile in der Produktion und die Herausforderungen in den Rezeptänderungen zu berücksichtigen, sondern auch das Mindset der Braumeister, d.h. der Kunden, selbst. Die Brauindustrie ist von Tradition geprägt, wobei viele Brauer auf traditionelle Zutaten und Prozesse setzen. Daher ist es entscheidend, das Interesse und die Akzeptanz der Braugemeinschaft gegenüber neuen Produkten zu berücksichtigen.

Gleichzeitig kann in Kundenbefragungen auch geklärt werden, welche Herausforderungen es aktuell beim Brauen gibt und ob diese mit hopfenbasierenden Produkten zu lösen sind. Diese Insights können gewinnbringend in der weiteren Produktentwicklung und Erstellung des Serviceangebots einfließen.

Ansatz und Vorgehen

Im ersten Schritt wurde eine eingehende Analyse der aktuellen Verkaufszahlen durchgeführt, wodurch eine objektive Darstellung und Überprüfung des Ist-Zustands des jeweiligen Marktes möglich wurde und zudem eine Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Märkten (mit Blick auf Markt-Attraktivität und -Potenzial) durchgeführt wurde.

Die Ergebnisse zeigten deutlich, dass es in vergleichbaren Märkten große Unterschiede in den Absatzzahlen gab, sodass wir hier zunächst die Unterschiede verstehen mussten, um genauere Aussagen bzgl. der Marktattraktivität tätigen zu können. 

Hierfür wurden im zweiten Schritt die Vertriebsmitarbeiter befragt. Durch ihren direkten Kontakt zu Brauereien und mit ihrem umfassenden Marktverständnis konnten erste Erkenntnisse über spezifische Regionen und Brauereien gewonnen werden. Es wurde dabei auch festgestellt, dass Märkte unterschiedlich reguliert sind, wie beispielsweise in Deutschland, wo aufgrund des Reinheitsgebots gewisse Produkte beim Bierbrauen nicht verwendet werden dürfen. Somit war klar, dass Teilmärkte direkt ausgeschlossen werden müssen.

Nach einer objektiven Auseinandersetzung mit den Verkaufszahlen und subjektiven Einblicken der Vertriebsmitarbeiter folgte der Dialog mit verschiedenen Kunden. Hierbei wurden Brauereien unterschiedlicher Größenordnung und Ausrichtung – von kleinen Craftbier-Brauereien bis zu Konzernbrauereien – einbezogen. Auch wurden neben den Braumeistern Einkäufer befragt, da neben Qualität und Handhabung im Brauprozess auch die Kostenkalkulation eine bedeutende Rolle bei der Auswahl der Zutaten spielt. Die Gespräche beinhalteten Fragen zur aktuellen Nutzung von Produkten, den Gründen dafür oder dagegen, potenziellen Veränderungen in der Zukunft und der Kenntnis von ähnlichen Produkten von Wettbewerbern. Diese Informationen helfen später bei der Einschätzung zur Marktverteilung.

Durchführung einer Markt-Abschätzung mit der TAM-SAM-SOM-Methode

Nach der umfassenden Datensammlung über das Produkt und den Markt erfolgte die Berechnung des potenziellen Marktpotenzials mithilfe der TAM-SAM-SOM Methode:

TAM (Total Addressable Market): Dies bezieht sich auf die Gesamtgröße des Marktes, der für ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung existiert. Der TAM repräsentiert das gesamte Potenzial, das ein Markt bieten kann, wenn alle möglichen Kunden berücksichtigt werden – hier der komplette Biermarkt. 

SAM (Serviceable Addressable Market): Dies ist der Teil des Marktes, den ein Unternehmen tatsächlich bedienen kann oder beabsichtigt zu bedienen. Es berücksichtigt Faktoren wie geografische Lage, Segmentierung und andere Einschränkungen, die die tatsächliche Reichweite des Unternehmens bestimmen. Hier wurde berücksichtigt, in welchen Regionen und Ländern das Produkt eingesetzt werden kann und welche Produkte in welcher Kombination für bestimmte Biersorten und -stile verwendet werden können. Auch wurde der Mindsetfaktor der Brauer berücksichtigt. Somit wurde klar, dass das Marktpotenzial für hopfenbasierte Produkte nur einen kleineren Teil des gesamten Biermarktes einnimmt, aber immer noch attraktiv ist.  

SOM (Serviceable Obtainable Market): Dies ist der Marktanteil, den ein Unternehmen realistischerweise gewinnen kann. Es berücksichtigt Faktoren wie Wettbewerb, Marketingstrategien und andere Einflüsse, die die tatsächliche Marktpräsenz des Unternehmens beeinflussen. Hier wurde einbezogen, wie die Marktverteilung zu Wettbewerbern mit ähnlichen Produkten ist. 

Durch die schrittweise Ein- und Ausgrenzung von Märkten, Regionen und Brauereiarten konnte letztendlich ein realistisches Marktpotenzial für die Produkte gefunden werden. Darauf basierend wurde eine fundierte Basis geschaffen, um mögliche Investitionen zu bewerten und das Geschäftsmodell mehr vom klassischen Commodity in Richtung Produktgeschäft zu entwickeln.

Fazit

Die TAM-SAM-SOM-Methode eignete sich, durch die dreistufige Vorgehensweise, bestens, um das Marktpotenzial abzuschätzen und auch eine fundierte, nachvollziehbare Entscheidungsbasis aufzubauen.

Wichtig ist es, im Vorfeld genügend Informationen über die entscheidenden Kriterien zur Ein- und Ausgrenzung von Märkten und Kundengruppen zu bekommen, um fundiert Abschätzungen machen zu können. Hierfür ist ratsam, sowohl das Unternehmen, die Kunden als auch Wettbewerber zu betrachten, um von jedem Blickwinkel auf den Markt zu schauen. 

Vom Commodity-Handel zum Geschmacksexperten mit eigenen Produkten

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